Wann und wie kann ich ein Ehegattentestament ändern?

Oberlandesgericht Koblenz Beschlüsse vom 20.08 und 11.10.06 Aktenzeichen 2 U 80/06

Vereinfachter Sachverhalt:
Im Oktober 1980 errichten Ehegatten ein gemeinschaftliches Testament. Sie setzen sich darin gegenseitig zu Alleinerben ein. Nach dem Tod des Längerlebenden soll eine Nichte des Ehemannes das gemeinsame Vermögen erben. In dem Testament wurde nicht klargestellt, ob die Erbeinsetzungen jeweils - wie Juristen es nennen - wechselbezüglich waren. Setzen zwei Ehegatten sich gegenseitig zu Erben ein, so spricht man von wechselbezüglichen Verfügungen (§ 2270 Abs.1 BGB), wenn die beiden Erbeinsetzungen voneinander abhängig sind, also der Ehepartner Erbe werden soll, weil man selbst von ihm als Erben eingesetzt wird. Der Gesetzeswortlaut ist da etwas umständlich formuliert: "daß die eine Verfügung nicht ohne die Verfügung des anderen getroffen sein würde".

Nach dem Tod des Ehemannes änderte die Witwe das Testament und setzte zugunsten der beiden Kläger des Prozesses vor dem Oberlandesgericht Koblenz jeweils ein Vermächtnis aus. Wer erbrechtlich ein Vermächtnis bekommen soll, wird juristisch Vermächtnisnehmer genannt. Er wird selbst nicht Erbe, sondern hat einen Anspruch gegen den Erben auf Erfüllung des Vermächtnisses, also je nach Inhalt des Vermächtnisses die Ausbezahlung eines Geldvermächtnisses oder die Übereignung einer Wohnung (sog. Sachvermächtnis). Der Erbe hat also die Hand auf dem Nachlass, der Vermächtnisnehmer hat nur einen Anspruch gegen den oder die Erben, den er im Streitfall juristisch vor Gericht durchsetzen muss.

So kam es auch. Die Vermächtnisnehmer verklagten die Erbin auf Auszahlung der Vermächtnisses und waren vor Gericht damit in allen Instanzen erfolgreich.

Die gerichtliche Begründung möchte ich Ihnen erläutern. Das Besondere an wechselbezüglichen Verfügungen ist, dass die Ehegatten an den Testamentsinhalt gebunden sind. Sie können also Erbeinsetzungen, Vermächtnisse oder Auflagen zwar einvernehmlich ändern, z.B. also ein neues Testament schreiben oder - wovon juristisch abzuraten ist - an dem bisherigen Testament Streichungen und Ergänzungen vornehmen. Wird man sich nicht einig und will ein Ehegatte zu Lebzeiten des anderen Ehepartners das Testament einseitig ändern, so bleibt ihm rechtlich zwingend nur der Weg zum Notar. Dieser beurkundet den Widerruf des Testaments und übersendet rechtlich zwingend eine Abschrift des notariellen Protokolls an den anderen Ehegatten. Dieser erfährst also den Testamentswiderruf und kann daraus seine Schlüsse ziehen und ebenfalls ein eigenes Testament verfassen. Die gegenseitige Erbeinsetzung ist mit dem Zugang des Widerrufs durch die Notarspost rechtlich unwirksam!

Eine weitere wichtige Besonderheit von wechselbezüglichen Erbeinsetzungen sind, dass diese nach dem Tod des erstversterbenenden Ehegatten in Beton gegossen sind und juristisch nicht mehr geändert werden können. Man bleibt also daran gebunden, dass z.B. die eigenen Kinder Erben werden, obwohl sie den länger lebenden Elternteil im Pflegefall im Stich lassen und sich nicht kümmern.

Da die meisten Menschen nicht wissen, dass Juristen zwischen wechselbezüglichen und nicht wechselbezüglichen Erbeinsetzungen differenzieren, musste der Gesetzgeber den Fall regeln, dass es Streit über den Testamentsinhalt gibt. In diesem Fall muss der Nachlassrichter den Testamentsinhalt auslegen und prüfen, wie er gemeint war. Wollten die Ehegatten sich wegen der Erbfolge im Detail rechtlich binden oder sollte nach dem Tod des früher versterbenden Ehegatten die Entscheidung offen bleiben, wer später einmal das gemeinsame Vermögen erbt, wenn beide Ehegatten nicht mehr am Leben sind. Das Gericht wird in diesem Zusammenhang z.B. Zeuge befragen, welche Vorstellungen man von der Erbfolge bei der Testamentserrichtung hatte.

In vielen Fällen führt eine solche juristische Auslegung nicht weiter, weil es keine juristischen Beweise für den erbrechtlichen Willen gibt.  Dann muss man die gesetzliche Regelung in § 2270 II BGB beachten, wonach in solchen Zweifelsfällen von einer Wechselbezüglichkeit auszugehen ist, wenn das Vermögen später einmal ein eigener Verwandter (also z.B. Kinder) oder eine ihm sonst nahe stehende Person erben soll.

In dem vom Oberlandesgericht Koblenz entschiedenen Fall war die Erbin eine Nicht der Ehefrau. Sie war mit dem vorverstorbenen Ehemann nicht verwandt. Das Gericht meint nun: "Es ist deshalb nicht nahe liegend, dass die Erbeinsetzung der Erblasserin Margarete Sch. durch ihren vorverstorbenen Ehemann
Dr. J. Sch. nur deshalb erfolgte, weil diese wiederum ihre Nichte als Schlusserbin eingesetzt
hatte."

Deswegen war die länger lebende Ehefrau berechtigt, nach dem Tod des Ehemannes Dritte mit einem Vermächtnis zu bedenken. Die Klage der Vermächtnisnehmer gegen die Erbin war damit erfolgreich.

Fazit:  In einem Ehegattentestament muss immer klargestellt sein, ob die gegenseitige Erbeinsetzung wechselbezüglich ist und/oder der länger lebende Ehegatte berechtigt sein soll, nachträglich jemand anderes zum Erben einsetzen oder ein Vermächtnis aussetzen darf. Sonst kann es jahrelangen juristischen Streit geben. Man kann also die Gerichtsentscheidung auf einen Punkt bringen. "Liebe Ehefrau, Deine Nichte kann gerne später einmal Erbin werden, das soll mir recht sein, wenn Du das Testament später ändern möchtest, dann tue das." Völlig anders wäre die Entscheidung des Oberlandesgerichts Koblenz allerdings wohl ausgefallen, wenn die Erbin eine Verwandte des vorverstorbenen Ehemannes gewesen wäre. Denn dann hätte man im Zweifel davon ausgehen müssen, dass dieser die Erbeinsetzung als rechtlich bindend, angesehen hätte, frei nach dem Motto. "Ob meine Verwandten enterben werden, bestimme ich selbst".

Den Text der gerichtlichen Entscheidung finden Sie hier:

Das gemeinschaftliche Testament der Eheleute Sch. vom 29.10.1980 enthält keine Anordnung zur Wechselbezüglichkeit der darin getroffenen Verfügungen. Die Erblasserin war durch das gemeinschaftliche Testament der Eheleute Sch. vom 29.10.1980 nicht gehindert, die Kläger als Vermächtnisnehmer einzusetzen. Soweit die Berufung unter Bezugnahme auf § 2270 Abs. 2 BGB darauf verweist, dass diese Vorschrift nicht nur auf das Verwandtschaftsverhältnis des Bedachten zum Erblasser hinweist, sondern auch sonst nahe stehende Personen erfasst, ist dies zutreffend. § 2270 Abs. 2 BGB enthält eine Auslegungsregel, die allerdings nur dann Anwendung findet, wenn die Auslegung keine Klarheit über den Verknüpfungswillen gebracht hat (Bamberger/Roth-Litzenburger, § 2270 Rn. 9; BayOblGZ 1982, 474).


Im Rahmen der Auslegung des gemeinschaftlichen Testaments muss der gesamte Inhalt der Erklärungen einschließlich aller Nebenumstände, auch solcher, die außerhalb der Testamentsurkunde
liegen, als Ganzes gewürdigt werden. Bei der Ermittlung des Erblasserwillens muss auch die
Lebenserfahrung berücksichtigt werden, dass beim Fehlen verwandtschaftlicher Beziehungen zwischen
dem zuerst verstorbenen Ehemann und dem eingesetzten Schlusserben dem Längstlebenden
das Recht zustehen soll, die Erbfolge anderweitig festzulegen (vgl. Bamberger/Roth-Litzenburger, BGB, 2003, § 2270 Rn. 8 m.w.N.). Das Landgericht hat diese Umstände berücksichtigt und hat danach eine Wechselbezüglichkeit der testamentarischen Verfügung nicht feststellen können, so dass für die Auslegungsregel nach § 2270 Abs. 2 BGB kein Raum mehr besteht.


Ungeachtet dessen kann die durch ein gemeinschaftliches Testament bedachte Person aufgrund
der Auslegungsregel des § 2270 Abs. 2 BGB nur dann als dem Erblasser nahe stehende Person
angesehen werden, wenn ein solches Näheverhältnis besteht, dass dieses einem Verwandtschaftsverhältnis gleichkommt (Bamberger/Roth-Litzenburger, § 2270 Rn. 11; KG DNotZ 1993,
825 = FamRZ 1993, 366). Dabei ist ein strenger Maßstab anzulegen, um die Ausnahme nicht zur
Regel werden zu lassen (Bamberger/Roth-Litzenburger, ebd.; BayOblGZ 1982, 474). Als „nahe stehende Personen“ sind außer den im Gesetz generell genannten Verwandten die Personen zu
verstehen, zu denen der betreffende Ehegatte enge persönliche Beziehungen und innere Bindungen
gehabt hat, die mindestens dem üblichen Verhältnis zu Verwandten entsprechen. Als solche
„nahe stehende Personen“ können Adoptiv-, Stief- und Pflegekinder, verschwägerte Personen,
enge Freunde und langjährige Angestellte in Betracht kommen, insbesondere wenn eine häusliche
Gemeinschaft bestanden hat. Im Allgemeinen ist jedoch bei nicht verwandten Personen eine restriktive
Anwendung der Auslegungsregel des § 2270 Abs. 2 BGB geboten. Es muss auch bedacht
werden, dass die Ehegatten die Beerbung des Längstlebenden von ihnen häufig nur vorsorglich
regeln wollen, ohne den längstlebenden Ehegatten in seiner Freiheit, eine anderweitige Regelung
zu treffen, beeinträchtigen zu wollen (BayOBLGZ 1982, 474).

 
1. Wechselbezüglich sind Verfügungen, von denen anzunehmen ist, dass die Verfügung des
einen nicht ohne die Verfügung des anderen getroffen sein würde. Da über die Wechselbezüglichkeit
der Wille der Testierenden entscheidet, muss er in Zweifelsfällen mit dem Mittel
der Auslegung nach allgemeinen Grundsätzen erforscht werden.


2. § 2770 Abs. 2 BGB enthält eine Auslegungsregel, die allerdings nur dann Anwendung findet, wenn die Auslegung keine Klarheit über den Verknüpfungswillen gebracht hat. Im Rahmen der Auslegung des gemeinschaftlichen Testaments muss der gesamte Inhalt der Erklärungen einschließlich aller Nebenumstände, auch solcher, die außerhalb der Testamentsurkunde liegen, als Ganzes gewürdigt werden. Bei der Ermittlung des Erblasserwillens muss auch die Lebenserfahrung berücksichtigt werden, dass beim Fehlen verwandtschaftlicher Beziehungen zwischen dem zuerst verstorbenen Ehemann und dem eingesetzten Schlusserben dem Längstlebenden das Recht zustehen soll, die Erbfolge anderweiitig festzulegen.

3. Zur Auslegung des Begriffs "Näheverhältnis". 1) Die Beklagte war mit dem vorverstorbenen Ehemann der Erblasserin gemäß § 1590 BGB verschwägert. Ein Verwandtschaftsverhältnis der Beklagten mit dem vorverstorbenen Ehemann der Erblasserin hat nicht bestanden. Wenn nach § 2270 Abs. 2 BGB der überlebende Ehegatte im Zweifel an die Schlusserbeneinsetzung gebunden ist, wenn er Verwandte des anderen Ehegatten eingesetzt hat, so kann daraus im Umkehrschluss gefolgert werden, dass er an die Schlusserbeneinsetzung eigener Verwandter im Grundsatz nicht gebunden ist (KG DNotZ 1993, 825. 827 m.w.N.). Da die eigenen Verwandten des überlebenden Ehegatten mit dem anderen gemäß § 1590 BGB verschwägert sind, ergäbe sich in diesen Fällen über den Begriff des Nahestehens in Zweifelsfällen immer eine Bindung des überlebenden Ehegatten an die Einsetzung seiner eigenen Verwandten, wollte man – ohne Prüfung im Einzelfall – annehmen, verschwägerte Personen stünden einander nahe. Dies entspricht nicht der gesetzlichen Bestimmung, da nach § 2270 Abs. 2 BGB Verschwägerte den Verwandten nicht gleichgestellt sind (KG ebd.). Die Aufstellung der Auslegungsregel in § 2270 Abs. 2 BGB beruht auf der Erwägung, dass der eine Ehegatte in der Verfügung, die zugunsten einer ihm nahestehenden Person von dem anderen Ehegatten getroffen wird, eine Art Gegenleistung dafür zu sehen pflegt, dass er seinerseits dem letzteren eine Zuwendung macht. Daraus rechtfertigt sich regelmäßig die Folgerung, dass er ohne die Verfügung des anderen Ehegatten seine Verfügung nicht getroffen hätte. Dies kann jedoch nicht ohne weiteres angenommen werden, wenn – wie hier - die Erblasserin ihre Nichte im gemeinschaftlichen Testament eingesetzt hat, solange der vorverstorbene Erblasser (Dr. Sch.) zu der Nichte keine anderen Bindungen hat, als sie üblicherweise aufgrund der durch die Ehefrau, Margarete Sch., vermittelten schwägerschaftlichen Beziehung bestehen. In einem solchen Fall hat es deshalb bei dem sich aus der allgemeinen Lebenserfahrung ergebenden Grundsatz zu verbleiben, dass der überlebende Ehegatte an die Schlusserbeneinsetzung eigener Verwandter nicht gebunden ist. Der nunmehrige Vortrag der Beklagten zu dem angeblichen besonderen Näheverhältnis zu dem vorverstorbenen Ehemann ihrer Tante (Seite 2/3 Schriftsatz vom 24.11.2006, GA 139) ist erstmals in der Berufungsinstanz neu vorgebracht worden und nach § 531 Abs. 2 Ziffer 3 ZPO verspätet. Der Vortrag zu den gesamten Lebensumständen der Beklagten und das Näheverhältnis zu dem vorverstorbenen Erblasser, die über das Verhältnis als Nichte der Ehefrau des Onkels Dr. Sch. hinausgegangen seien, hätte ohne Nachlässigkeit auch bereits in erster Instanz gebracht werden können. Die Berufung ist mit den jetzigen Beweisangeboten (Seite 3 des Schriftsatzes vom 24.11.2006, GA 140) ausgeschlossen. Was die Beklagte hierzu Bl. 116 GA vorgetragen und unter Beweis gestellt hat, reichte zur Annahme eines besonderen Näheverhältnisses nicht aus. Eines Hinweises bedürfte es nicht, da der Vortrag nicht unsubstantiiert, sondern unzureichend war. Der Senat hat in seiner Hinweisverfügung vom 11.10.2006 dargelegt, dass die Testierfähigkeit der Erblasserin aufgrund der im Jahre 1999 erlittenen Hirnschläge nicht beeinträchtigt war. Die Berufung bietet hierzu erneut die Vernehmung des Internisten Dr. R. an. Der Senat hat hierzu in seiner Hinweisverfügung bereits dargelegt, dass die Beklagte zwar Beweis darüber angeboten hat, dass die Erblasserin mehrere Hirnschläge erlitten habe, nicht aber das sie testierunfähig gewesen sei. Soweit jetzt die Testierunfähigkeit durch sachverständiges Zeugnis Dr. R. angeboten wird, ist das Beweiserbieten gemäß § 531 Abs. 2 Ziffer 3 ZPO verspätet.