Haftung von Kindern bei Unfällen im Straßenverkehr

Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe hat mit einem kürzlich veröffentlichtem Urteil vom 11.03.2008 seine Rechtsprechung zur Haftung von Kindern für Schadensfälle im Straßenverkehr noch einmal zusammengefasst. Das Urteil finden Sie unten.

 

Ausgangspunkt ist § 828 BGB, der wie folgt lautet:

§ 828
Minderjährige

(1) Wer nicht das siebente Lebensjahr vollendet hat, ist für einen Schaden, den er einem anderen zufügt, nicht verantwortlich.

(2) Wer das siebente, aber nicht das zehnte Lebensjahr vollendet hat, ist für den Schaden, den er bei einem Unfall mit einem Kraftfahrzeug, einer Schienenbahn oder einer Schwebebahn einem anderen zufügt, nicht verantwortlich. Dies gilt nicht, wenn er die Verletzung vorsätzlich herbeigeführt hat.

(3) Wer das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, ist, sofern seine Verantwortlichkeit nicht nach Absatz 1 oder 2 ausgeschlossen ist, für den Schaden, den er einem anderen zufügt, nicht verantwortlich, wenn er bei der Begehung der schädigenden Handlung nicht die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht hat.

In dem vom Bundesgerichtshof (BGH) entschiedenem Fall war ein Kind im Alter zwischen 7 und 10 Jahren offenbar mit einem Fahrrad abgebogen und 20m hinter der Kreuzung gegen eine offen stehende Türe eines Kfz gestoßen. Das Kind blieb unverletzt. Der Fahrzeugeigentümer wollte den ihm entstandenen Sachschaden von rd. 600 EUR ersetzt haben.

Der BGH erteilte ihm eine Abfuhr und fasste sein Urteil im folgenden Leitsatz zusammen:

Fährt ein Kind mit einem Fahrrad gegen ein mit geöffneten hinteren Türen am Fahrbahnrand stehendes Fahrzeug, entfällt seine Haftung nach § 828 Abs. 2 BGB.
BGH, Beschluss vom 11. März 2008 - VI ZR 75/07 - LG Duisburg
AG Duisburg-Ruhrort

Hier finden Sie das Urteil im Volltext
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 11. März 2008 durch die Vizepräsidentin Dr. Müller, den Richter Wellner, die Richterin Diederichsen und die Richter Stöhr und Zoll
gemäß § 552a ZPO einstimmig beschlossen:
Die Revision gegen das Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Duisburg vom 21. Februar 2007 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Streitwert: 695,91 €
Gründe:
I.
Der Senat hat den Parteien gemäß § 552a ZPO folgenden Hinweis gegeben:
1
1. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Insbesondere ist eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts nicht erforderlich, weil die für die angefochtene Entscheidung maßgebli-chen Grundsätze durch die - teilweise nach Erlass des Berufungsurteils ergangenen - Urteile des erkennenden Senats zum Anwendungsbereich des § 828 Abs. 2 Satz 1 BGB geklärt sind.


Danach ist eine teleologische Reduktion des § 828 Abs. 2 Satz 1 BGB vorzunehmen, wenn sich keine typische Überforderungssituation des Kindes durch die spezifischen Gefahren des motorisierten Verkehrs realisiert hat. Hier-nach hat der Senat das Haftungsprivileg verneint in Fällen, in denen Kinder der privilegierten Altersgruppe mit einem Kickbord oder Fahrrad gegen ein ord-nungsgemäß geparktes Kraftfahrzeug gestoßen sind und dieses beschädigt haben (vgl. Senatsurteile BGHZ 161, 180; vom 30. November 2004 - VI ZR 365/03 - VersR 2005, 380 und vom 21. Dezember 2004 - VI ZR 276/03 - VersR 2005, 378).

Aus den Senatsentscheidungen ergibt sich auch, dass bei dem Haftungsprivileg nicht grundsätzlich zwischen dem fließenden und dem ruhenden Verkehr zu unterscheiden ist, wenn es auch im fließenden Verkehr häufiger als im so genannten ruhenden Verkehr eingreifen mag. Das schließt jedoch nicht aus, dass sich in besonders gelagerten Fällen auch im ruhenden Verkehr eine spezifische Gefahr des motorisierten Verkehrs verwirklichen kann (vgl. Senatsurteil BGHZ 161, 180, 185 und vom 21. Dezember 2004 - VI ZR 276/03 - aaO, jeweils m.w.N.). Zudem ergibt sich aus den Senatsurteilen, dass auf eine typi-sche Fallkonstellation der Überforderung des Kindes durch die Schnelligkeit, die Komplexität und die Unübersichtlichkeit der Abläufe im motorisierten Straßenverkehr abzustellen ist. Darauf, ob sich diese Überforderungssituation konkret ausgewirkt hat oder ob das Kind aus anderen Gründen nicht in der Lage war, sich verkehrsgerecht zu verhalten, kommt es nicht an. Um eine klare Grenzlinie für die Haftung von Kindern zu ziehen, hat der Gesetzgeber diese Fallgestaltungen einheitlich in der Weise geregelt, dass er die Altersgrenze der Deliktsfähigkeit von Kindern für den Bereich des motorisierten Verkehrs generell heraufgesetzt hat (vgl. Senatsurteile vom 14. Juni 2005 - VI ZR 181/04 - VersR 2005, 1154, 1155; vom 17. April 2007 - VI ZR 109/06 - VersR 2007, 855, 856, vorgesehen für BGHZ 172, 83; vom 16. Oktober 2007 - VI ZR 42/07 - VersR 2007, 1669, 1670).

2. Das Berufungsgericht hat diese Grundsätze beachtet und im Ergebnis richtig entschieden, so dass die Revision keine Aussicht auf Erfolg hat.

Die Instanzgerichte haben zu Recht schon aufgrund des Klägervortrags eine typische Überforderungssituation für die Beklagte bejaht. Im Unterschied zu den Fallgestaltungen, bei denen der erkennende Senat das Eingreifen des Haftungsprivilegs verneint hat, kann man unter den hier gegebenen Umständen schon nicht davon ausgehen, dass der Kläger sein Fahrzeug zum Unfallzeitpunkt ordnungsgemäß geparkt hatte. Dem steht entgegen, dass die hinteren Türen auf der Fahrer- und der Beifahrerseite zum Zeitpunkt der Kollision offen standen und sich unstreitig sowohl der Kläger als auch der Zeuge E. an den geöffneten Türen befunden und sich bewegt haben. Dies schuf eine besondere Gefahrenlage für das als Verkehrsteilnehmer auf der Straße fahrende Kind, wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat. Da es zudem erst 20 m vor diesem Fahrzeug aus einer anderen Straße eingebogen war, liegt insgesamt eine typische Fallkonstellation der Überforderung eines Kindes durch die Schnelligkeit, die Komplexität und die Unübersichtlichkeit der Abläufe im motorisierten Straßenverkehr vor.
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