Kfz-Unfall im EU-Ausland - Gerichtsklage in Deutschland

 

Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe hat in einem heute veröffentlichtem Urteil einem Autofahrer aus Aachen Recht gegeben, der einen Unfallschaden in den Niederlanden vor einem deutschen Gericht gegen einen niederländischen Kfz-Haftpflichtversicherer eingeklagt hatte. Gestützt wurde die Entscheidung auf die Auslegung zweier Normen der EU-Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO). Die Rechtsfrage war bis vor lurzem umstritten. Im entschiedenen Fall hatte das Landgericht die Klage zunächst aus formalem Gründen abgewiesen und dem Kläger nahegelegt, in den Niederlanden zu klagen. Das nächsthöhere Oberlandesgericht in Kökn hat dem Autofahrer aus Aachen dann aber Recht gegeben. Entscheiden musste den Streit dann der Bundesgerichtshof in Karlsruhe. Dort legte man aber die Rechtsfrage dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg vor. Dort entschied man über die Auslegung der EuGVVO dahingehend, dass EU-Bürger in ihrem grundsätzlich in ihrem Heimatland Kfz-Haftpflichtversicherer verklagen können

Für Sie hoffentlich lesenswerte Einzelheiten zu der Problematik können Sie in unserem auf dieser Website unter <link uploads media vr_unfall_im_ausland_.pdf>www.recht-lang.de/uploads/media/VR_Unfall_im_Ausland_.PDF downloadbaren Artikel vom 08.09.2006 in der <link http: www.verkehrsrundschau.de external-link-new-window einen externen link in einem neuen>Verkehrsrundschau entnehmen. Die Veröffentlichung erfolgte also rd. 1,5 Jahre vor der heute veröffentlichen Entscheidung des Bundesgerichtshofs.

Nachfolgend finden Sie den Leitsatz und die Entscheidungsgründen des Urteils des Bundesgerichtshofs vom 06.05.2008 sowie einen Link auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs <link http: lexetius.com>lexetius.com/2007,3575

xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx

Nach Art. 11 Abs. 2 Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (im Folgenden: EuGVVO) i.V.m. Art. 9 Abs. 1 Buchst. b EuGVVO kann der Geschädigte, der seinen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat hat, vor dem Gericht seines Wohnsitzes eine Klage unmittelbar gegen den Versicherer erheben, sofern eine solche unmittelbare Klage zulässig ist und der Versicherer seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates hat.

BGH, Urteil vom 6. Mai 2008 - VI ZR 200/05 - OLG Köln LG Aachen

Der Kläger, der in Deutschland seinen Wohnsitz hat, verlangt von der Beklagten, einer Haftpflichtversicherung mit Sitz in den Niederlanden, Scha-densersatz wegen eines Verkehrsunfalls in den Niederlanden mit einem Versi-cherten der Beklagten. Das Amtsgericht am Wohnsitz des Klägers hat die Klage wegen fehlender internationaler Zuständigkeit deutscher Gerichte als unzuläs-sig abgewiesen. Das Berufungsgericht hat mit einem Zwischenurteil (veröffent-licht: OLG Köln, VersR 2005, 1721 f.) die Zulässigkeit der Klage bejaht. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte weiterhin die Klageabweisung. Der erkennende Senat hat mit Beschluss vom 26. Sep-tember 2006 (veröffentlicht: VersR 2006, 1677 ff.) das Verfahren ausgesetzt und die Frage zur Auslegung der Verweisung in Art. 11 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zu-ständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zi-vil- und Handelssachen (im Folgenden: EuGVVO) auf Art. 9 Abs. 1 Buchst. b EuGVVO dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften gemäß Art. 234 EGV zur Vorabentscheidung vorgelegt.

Entscheidungsgründe:

I.

Das Berufungsgericht hält die Zuständigkeit des Wohnsitzgerichts des Klägers in Deutschland aufgrund der Verweisung in Art. 11 Abs. 2 auf Art. 9 Abs. 1 Buchst. b EuGVVO für gegeben. Diese Auslegung entspreche dem aus-drücklichen Willen des europäischen Verordnungsgebers und sei mit dem Wort-laut der auszulegenden Norm sowie deren Zweck und Entstehungsgeschichte vereinbar.

II.

3

Die Revision gegen das Zwischenurteil des Berufungsgerichts bleibt er-folglos.

4

1. Der Europäische Gerichtshof hat im Urteil vom 13. Dezember 2007 (Rechtssache - C-463/06 - VersR 2008, 111 ff.) die Vorlagefrage bejaht und dies wie folgt begründet:

 

"Abschnitt 3 des Kapitels II der Verordnung Nr. 44/2001, der die Art. 8 bis 14 enthält, sieht Zuständigkeitsregeln für Versicherungssachen vor, die zu den Regeln hinzukommen, die durch die allgemeinen Vorschriften in Abschnitt 1 desselben Kapitels der Verordnung aufgestellt werden. In diesem Abschnitt 3 werden mehrere Zuständigkeitsregeln für Klagen gegen den Versicherer aufge-stellt. Er sieht insbesondere vor, dass ein Versicherer, der seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, vor den Gerichten des Mitgliedstaats, in dem er seinen Wohnsitz hat (Art. 9 Abs. 1 Buchst. a), vor dem Gericht des Or-tes, an dem der Kläger seinen Wohnsitz hat, wenn die Klage von dem Versiche-rungsnehmer, dem Versicherten oder dem Begünstigten erhoben wird (Art. 9 Abs. 1 Buchst. b), und schließlich bei der Haftpflichtversicherung oder bei der Versicherung von unbeweglichen Sachen vor dem Gericht des Ortes erhoben werden kann, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist (Art. 10). In Be-zug auf die Haftpflichtversicherung verweist Art. 11 Abs. 2 der Verordnung Nr. 44/2001 auf diese Zuständigkeitsregeln für Klagen, die der Geschädigte unmittelbar gegen den Versicherer erhebt.

Zur Beantwortung der Frage des vorlegenden Gerichts ist daher die Tragweite der Verweisung in Art. 11 Abs. 2 der Verordnung Nr. 44/2001 auf Art. 9 Abs. 1 Buchst. b dieser Verordnung zu bestimmen. Insbesondere ist festzustellen, ob diese Verweisung dahin auszulegen ist, dass durch sie nur den durch die letztgenannte Bestimmung bezeichneten Gerichten, d. h. den Gerichten des Wohnsitzes des Versicherungsnehmers, des Versicherten oder des Begünstigten, die Zuständigkeit für die Entscheidung über die unmittelbare Kla-ge des Geschädigten gegen den Versicherer zuerkannt wird oder ob aufgrund dieser Verweisung auf diese unmittelbare Klage die in Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 44/2001 aufgestellte Zuständigkeitsregel des Wohnsitzes des Klägers angewendet werden kann.

Hierzu ist festzustellen, dass diese Vorschrift sich nicht darauf be-schränkt, die Zuständigkeit den Gerichten des Wohnsitzes der darin aufgezählten Personen zuzuweisen, sondern dass sie vielmehr die Regel der Zuständig-keit des Wohnsitzes des Klägers aufstellt und damit diesen Personen die Be-fugnis zuerkennt, den Versicherer vor dem Gericht des Ortes ihres eigenen Wohnsitzes zu verklagen.

Eine Auslegung der Verweisung in Art. 11 Abs. 2 der Verordnung Nr. 44/2001 auf Art. 9 Abs. 1 Buchst. b dieser Verordnung dahin gehend, dass diese dem Geschädigten nur erlaubt, vor den aufgrund der letztgenannten Vorschrift zuständigen Gerichten zu klagen, d. h. den Gerichten des Wohnsitzes des Versicherungsnehmers, des Versicherten oder des Begünstigten, würde daher dem Wortlaut des Art. 11 Abs. 2 unmittelbar zuwiderlaufen. Mit dieser Verweisung wird der Anwendungsbereich dieser Regel auf andere Kategorien von Klägern gegen den Versicherer als dem Versicherungsnehmer, dem Versi-cherten oder dem Begünstigten aus dem Versicherungsvertrag erstreckt. Die Funktion dieser Verweisung besteht somit darin, der in Art. 9 Abs. 1 Buchst. b enthaltenen Liste von Klägern die Personen hinzuzufügen, die einen Schaden erlitten haben.

Dabei kann die Anwendung dieser Zuständigkeitsregel auf die unmittelbare Klage des Geschädigten nicht von dessen Qualifizierung als "Begünstigter" im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 44/2001 abhän-gen, denn die Verweisung auf diese Vorschrift durch Art. 11 Abs. 2 dieser Ver-ordnung ermöglicht die Erstreckung der Zuständigkeitsregel auf diese Rechts-streitigkeiten über die Zuordnung des Klägers zu einer der in dieser Vorschrift aufgeführten Kategorien hinaus.

Diese Erwägungen werden auch durch die teleologische Auslegung der im Ausgangsverfahren betroffenen Vorschriften gestützt. Nach dem 13. Erwä-gungsgrund der Verordnung Nr. 44/2001 soll diese einen günstigeren Schutz der schwächeren Parteien gewährleisten, als ihn die allgemeinen Zuständig-keitsregeln vorsehen (vgl. in diesem Sinne Urteile Group Josi, Rn. 64, und So-ciété financière et industrielle du Peloux, Rn. 40, sowie Urteil vom 26. Mai 2005, GIE Réunion européenne u. a., C-77/04, Slg. 2005, I-4509, Rn. 17). Dem Geschädigten das Recht zu verweigern, vor dem Gericht des Ortes seines eigenen Wohnsitzes zu klagen, würde ihm nämlich einen Schutz vorenthalten, der demjenigen entspricht, der anderen ebenfalls als schwächer angesehenen Parteien in Versicherungsrechtsstreitigkeiten durch diese Verordnung eingeräumt wird, und stünde daher im Widerspruch zum Geist dieser Verordnung. Außerdem hat die Verordnung Nr. 44/2001, wie die Kommission zu Recht feststellt, diesen Schutz im Verhältnis zu dem Schutz, der sich aus der Anwendung des Brüsseler Übereinkommens ergab, verstärkt.

Diese Auslegung wird durch den Wortlaut der Richtlinie 2000/26 über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung in der nach dem Inkrafttreten der Verord-nung Nr. 44/2001 durch die Richtlinie 2005/14 geänderten Fassung bestätigt. In dieser Richtlinie hat der Gemeinschaftsgesetzgeber nämlich nicht nur in Art. 3 die Zuerkennung eines Direktanspruchs des Geschädigten gegen das Versi-cherungsunternehmen in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten vorgese-hen, sondern er hat auch ausdrücklich im Erwägungsgrund 16a auf die Art. 9 Abs. 1 Buchst. b und 11 Abs. 2 der Verordnung Nr. 44/2001 Bezug genommen, um auf das Recht des Geschädigten hinzuweisen, eine Klage gegen den Versi-cherer vor dem Gericht des Ortes zu erheben, an dem der Geschädigte seinen Wohnsitz hat.

Schließlich ist zu den Folgen der Qualifizierung der unmittelbaren Klage des Geschädigten gegenüber dem Versicherer die, wie sich aus der Vorlage-entscheidung ergibt, im deutschen Recht Gegenstand eines Meinungsstreits sind, festzustellen, dass die Anwendung der durch Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 44/2001 aufgestellten Zuständigkeitsregel auf eine solche Kla-ge nicht dadurch ausgeschlossen wird, dass diese im nationalen Recht als De-likthaftungsklage, die sich auf ein außerhalb der vertraglichen Rechtsbeziehun-gen liegendes Recht bezieht, qualifiziert wird. Die Natur dieser Klage im natio-nalen Recht ist nämlich für die Anwendung der Vorschriften dieser Verordnung unerheblich, da diese Zuständigkeitsregeln in einem Abschnitt, nämlich Ab-schnitt 3 des Kapitels II dieser Verordnung, enthalten sind, der Versicherungs-sachen im Allgemeinen betrifft und der sich von dem Abschnitt über besondere Zuständigkeiten für Verträge oder unerlaubte Handlungen betreffende Sachen, nämlich Abschnitt 2 des Kapitels II, unterscheidet. Die einzige Bedingung, von der Art. 11 Abs. 2 der Verordnung Nr. 44/2001 die Anwendung dieser Zustän-digkeitsregel abhängig macht, besteht darin, dass die unmittelbare Klage im nationalen Recht vorgesehen sein muss." 

2. Danach hat das Berufungsgericht mit Recht einen Gerichtsstand am inländischen Wohnort des Klägers für die Direktklage gegen die Beklagte be-jaht, da der Kläger nach der gemäß Art. 40 Abs. 1 und 4 EGBGB heranzuzie-henden niederländischen Gesetzesvorschrift einen Direktanspruch gegen den niederländischen Versicherer hat (Art. 7 Nr. 2 WAM Gesetz über die Kraftfahr-zeug-Haftpflichtversicherung vom 30. Mai 1963).