Bundesverfassungsgericht: Gleichgeschlechtliche Ehepartner dürfen bei der Erbschaftsteuer nicht benachteiligt werden

Beschlüsse vom 17.08.2010 1 BvR 611/07 und 1 BvR 2464/07

Eine offizielle Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts steht noch aus. Nach ersten Pressemeldungen hat das Bundesverfassungsgericht heute entschieden, dass mit der Diskriminierung eingetragener Lebenspartnerschaften im Erbschafts- und Schenkungssteuergesetz Schluß sein muss. Bisher galt eine Gleichstellung bei den Steuerfreibeträgen, nicht aber bei der Steuerklasse. Das ist entscheidend, weil derzeit ein Steuersatz von 30% gilt In dem noch zu erlassenden <link http: www.bundesfinanzministerium.de nn_82 de bmf__startseite aktuelles aktuelle__gesetze gesetzentwuerfe__arbeitsfassungen external-link-new-window einen externen link in einem neuen>Jahressteuergesetz 2010 (Regierungsentwurf der Bundesregierung) ist zwar bereits eine Regelung enthalten, wonach auch zukünftig auch gleiche Steuersätze gelten sollen. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgericht hat aber Auswirkungen auf frühere Sterbefälle vor und nach der ab dem 01.01.2009 geltenden Erbschaftsteuerreform.

Die Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger begrüßte die Entscheidung des Verfassungsgerichts und verwies auf den sich in Arbeit befindlichen Gesetzesentwurf.

Die Gerichtsentscheidung könnte ein Wegweiser und Beschleuniger für weitere Gesetzesänderungen sein, zum Beispiel bei der Stiefkinderadoption durch gleichgeschlechtliche Eltern. Eine entsprechende Verfassungsbeschwerde ist bereits anhängig und auch dieses Mal stellt sich die Frage, wer schneller sein wird: Der Gesetzgeber oder das Bundesverfassungsgericht.

Experten räumen einem am Ende vielleicht doch aus koalitionsinternen Gründen diskriminierungsfreundlichen Gesetzgeber ein Schlupfloch ein: Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Hetero-Ehen dann höhere Freibeträge einzuräumen, wenn die Ehe nicht kinderlos ist. Max Steinbeis erwähnt in seinem lesenswerten <link http: verfassungsblog.de external-link-new-window einen externen link in einem neuen>"Verfassungsblog" diese Möglichkeit. Warten wir ab ... 

 Nachfolgend die Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts im Original-Wortlaut:

Bundesverfassungsgericht - Pressestelle -

Pressemitteilung Nr. 63/2010 vom 17. August 2010


Beschluss vom 21. Juli 2010 1 BvR 611/07, 1 BvR 2464/07–

Nach den Bestimmungen der §§ 15, 16, 17 und 19 des Erbschaftsteuer- und
Schenkungsteuergesetzes in der Fassung nach dem Jahressteuergesetz 1997
vom 20. Dezember 1996 (ErbStG a.F.) wurden eingetragene Lebenspartner
nach Schaffung des Rechtsinstituts der Lebenspartnerschaft im Jahre 2001
erbschaftsteuerrechtlich erheblich höher belastet als Ehegatten.

Während Ehegatten nach §§ 15 Abs. 1, 19 Abs. 1 ErbstG a.F. der
günstigsten Steuerklasse I unterfielen und abhängig von der Höhe des
Ererbten Steuersätze zwischen 7% und 30% zu entrichten hatten, waren
Lebenspartner als „übrige Erwerber“ in die Steuerklasse III eingeordnet,
die Steuersätze von 17 % bis zu 50 % vorsah. Zudem gewährte § 16 Abs. 1
Nr. 1 ErbStG a.F. Ehegatten einen persönlichen Freibetrag in Höhe von
600.000,- DM / 307.000,- € und § 17 Abs. 1 ErbStG a.F. einen besonderen
Versorgungsfreibetrag in Höhe von 500.000,- DM / 256.000,- €.
Eingetragenen Lebenspartnern stand demgegenüber aufgrund ihrer
Einordnung in die Steuerklasse III lediglich ein Freibetrag in Höhe von
10.000,- DM / 5.200,- € zu (§ 16 Abs. 1 Nr. 5, § 15 Abs. 1 ErbStG a.F.).
Von der Vergünstigung des Versorgungsfreibetrags waren sie gänzlich
ausgeschlossen.

Mit dem Erbschaftsteuerreformgesetz vom 24. Dezember 2008 sind die
vorgenannten Vorschriften des Erbschaftsteuer- und
Schenkungsteuergesetzes zu Gunsten von eingetragenen Lebenspartnern
insoweit geändert worden, als der persönliche Freibetrag sowie auch der
Versorgungsfreibetrag für erbende Lebenspartner und Ehegatten gleich
bemessen werden. Allerdings werden eingetragene Lebenspartner weiterhin
wie entfernte Verwandte und Fremde mit den höchsten Steuersätzen
besteuert. Nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zum
Jahressteuergesetz 2010 vom 22. Juni 2010 ist eine vollständige
Gleichstellung von Lebenspartnern und Ehegatten im Erbschaftsteuer- und
Schenkungsteuerrecht – also auch in den Steuersätzen – beabsichtigt.

Der Beschwerdeführer zu 1) ist Alleinerbe seines im August 2001
verstorbenen Lebenspartners; die Beschwerdeführerin zu 2) Erbin ihrer im
Februar 2002 verstorbenen Lebenspartnerin. In beiden Fällen setzte das
Finanzamt die Erbschaftsteuer nach einem Steuersatz der Steuerklasse III
fest und gewährte den geringsten Freibetrag nach § 16 Abs. 1 Nr. 5
ErbStG a.F.. Die hiergegen erhobenen Klagen der Beschwerdeführer blieben
vor den Finanzgerichten ohne Erfolg.

Auf ihre Verfassungsbeschwerden hat der Erste Senat des
Bundesverfassungsgerichts entschieden, dass die
erbschaftsteuerrechtliche Schlechterstellung der eingetragenen
Lebenspartner gegenüber den Ehegatten im persönlichen Freibetrag und im
Steuersatz sowie durch ihre Nichtberücksichtigung im
Versorgungsfreibetrag mit dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1
GG) unvereinbar ist. Die Beschlüsse des Bundesfinanzhofs sind aufgehoben
und die Sachen an diesen zur erneuten Entscheidung zurückverweisen
worden. Der Gesetzgeber hat bis zum 31. Dezember 2010 eine Neuregelung
für die vom Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz a.F. betroffenen
Altfälle zu treffen, die die Gleichheitsverstöße in dem Zeitraum
zwischen dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Beendigung der
Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften vom 16. Februar
2001 bis zum Inkrafttreten des Erbschaftsteuerreformgesetz vom 24.
Dezember 2008 beseitigt.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:

Für die Schlechterstellung der eingetragenen Lebenspartner gegenüber den
Ehegatten bestehen keine Unterschiede von solchem Gewicht, dass sie die
Benachteiligung der Lebenspartner im Erbschaftsteuer- und
Schenkungsteuergesetz in der Fassung nach dem Jahressteuergesetz 1997
rechtfertigen könnten. Dies gilt für den persönlichen Freibetrag nach §
16 ErbStG a.F. ebenso wie für den Versorgungsfreibetrag nach § 17 ErbStG
a.F. und den Steuersatz nach § 19 ErbStG a.F..

Die Privilegierung der Ehegatten gegenüber den Lebenspartnern im Recht
des persönlichen Freibetrags lässt sich nicht allein mit Verweisung auf
den besonderen staatlichen Schutz von Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 GG)
rechtfertigen. Geht die Förderung der Ehe mit einer Benachteiligung
anderer Lebensformen einher, obgleich diese nach dem geregelten
Lebenssachverhalt und den mit der Normierung verfolgten Zielen der Ehe
vergleichbar sind, rechtfertigt die bloße Verweisung auf das Schutzgebot
der Ehe eine solche Differenzierung nicht. Die Befugnisse des Staates,
in Erfüllung seiner grundgesetzlichen Schutzpflicht aus Art. 6 Abs. 1 GG
für Ehe und Familie tätig zu werden, bleiben also gänzlich unberührt von
der Frage, inwieweit Dritte etwaige Gleichbehandlungsansprüche geltend
machen können. Allein der Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) entscheidet
nach Maßgabe der vom Bundesverfassungsgericht hierzu entwickelten
Anwendungsgrundsätze darüber, ob und inwieweit Dritten, wie hier den
eingetragenen Lebenspartnern, ein Anspruch auf Gleichbehandlung mit
einer gesetzlichen oder tatsächlichen Förderung von Ehegatten und
Familienangehörigen zukommt.

Die unterschiedliche Freibetragsregelung ist nicht aufgrund einer
höheren Leistungsfähigkeit erbender Lebenspartner gerechtfertigt. Soweit
zur Begründung des hohen Freibetrags für Ehegatten und Kinder angeführt
wird, dass diese aufgrund ihres besonderen Näheverhältnisses und ihrer
wirtschaftlichen Beziehung zum Erblasser durch den Erbfall weniger
leistungsfähig seien, als es der nominale Wert des Erbes erwarten ließe,
gelten die dem zugrunde liegenden Erwägungen ebenso für eingetragene
Lebenspartner. Diese leben wie Ehegatten in einer auf Dauer angelegten,
rechtlich verfestigten Partnerschaft. Auch sie partizipieren bereits zu
Lebzeiten am Vermögen ihres eingetragenen Lebenspartners und erwarten,
den gemeinsamen Lebensstandard im Falle des Todes eines Lebenspartners
halten zu können. Sofern dem Erhalt der Erbschaft durch den Freibetrag
für Ehegatten unterhaltsersetzende Funktion sowie eine
Versorgungswirkung zukommt, gilt dies auch für Lebenspartner, die nach
der schon für die Ausgangsverfahren maßgebenden Rechtslage einander zu
„angemessenem Unterhalt“ verpflichtet sind.

Das das Erbschaftsteuerrecht prägende Familienprinzip vermag die
Schlechterstellung der eingetragenen Lebenspartner gegenüber den
Ehegatten hinsichtlich des persönlichen Freibetrags ebenfalls nicht zu
rechtfertigen. Wie die Ehe ist die eingetragene Lebenspartnerschaft auf
Dauer angelegt, rechtlich verfestigt und begründet eine gegenseitige
Unterhalts- und Einstandspflicht. Die Ungleichbehandlung ist auch nicht
dadurch legitimiert, dass grundsätzlich nur aus einer Ehe gemeinsame
Kinder hervorgehen können und der Gesetzgeber unter Anknüpfung an das
Familienprinzip eine möglichst ungeschmälerte Erhaltung kleiner und
mittlerer Vermögen in der Generationenfolge erhalten möchte. In ihrer
Eignung als Ausgangspunkt der Generationenfolge unterscheidet sich die
Ehe zwar grundsätzlich von der Lebenspartnerschaft, da aus der Beziehung
gleichgeschlechtlicher Paare grundsätzlich keine gemeinsamen Kinder
hervorgehen können. Dieser Gesichtspunkt kann jedoch nicht als Grundlage
einer unterschiedlichen Behandlung von Ehegatten und Lebenspartnern
herangezogen werden, da er in der gesetzlichen Regelung nicht
hinreichend umgesetzt ist. Denn das geltende Recht macht - im
Unterschied zu früheren Regelungen - die Privilegierung der Ehe bzw. die
Höhe des Freibetrags für Ehegatten gerade nicht vom Vorhandensein
gemeinsamer Kinder abhängig.

Für die gänzliche Nichtberücksichtigung der Lebenspartner beim
Versorgungsfreibetrag nach § 17 ErbStG a.F. fehlt ebenfalls ein
ausreichender Differenzierungsgrund. Der Versorgungsfreibetrag dient in
erster Linie dazu, die unterschiedliche erbschaftsteuerrechtliche
Behandlung gesetzlicher und vertraglicher Versorgungsbezüge
auszugleichen, und soll insofern eine nicht ausreichende Versorgung des
überlebenden Ehegatten mit steuerfreien Versorgungsbezügen kompensieren.
Dieses gesetzgeberische Ziel besitzt in gleicher Weise für Lebenspartner
Gültigkeit. Im Übrigen gelten auch hier die vorgenannten Erwägungen.

Schließlich findet sich kein hinreichender Unterscheidungsgrund dafür,
dass eingetragene Lebenspartner der Steuerklasse III mit den höchsten
Steuersätzen, Ehegatten hingegen der Steuerklasse I mit den niedrigsten
Steuersätzen zugewiesen werden (§ 15 Abs. 1, § 19 Abs. 1 ErbStG a.F.).
Wie beim persönlichen Freibetrag so gilt auch hier, dass die
Unterschiede zwischen der Ehe und der Lebenspartnerschaft im derzeitigen
Regelungskonzept keine Schlechterstellung der Lebenspartner in der
Steuerklasseneinteilung tragen.