Wer Kindesunterhalt zu bezahlen hat, muss deswegen keinen Pflichtteil geltend machen

Bundesgerichtshof Urteil vom 28. November 2012 - XII ZR 19/10 - OLG Schleswig LG Kiel

 

 

BGB §§ 1601, 1603 Abs. 2 Satz 1, 1612, 2303, 528; ZPO § 852

Verletzt der Unterhaltspflichtige die Obliegenheit, Vermögenswerte zu realisieren, ist er unterhaltsrechtlich so zu behandeln, als habe er die Obliegenheit erfüllt. Ein ein-klagbarer Anspruch auf Rückforderung einer Schenkung oder Geltendmachung ei-nes Pflichtteilsanspruchs besteht dagegen nicht.

Dazu meine Anmerkung:

Es geht um einen sehr tragischen Fall. Ein unterhaltspflichtiger Vater ermordet die Mutter seiner Kinder und wird zu einer lebenslangen Gefängnisstrafe verurteilt. Die Kinder leben seit der Tat bei den Großeltern mütterlicherseits. Die Großeltern väterlicherseits versterben. Sie haben ihren in Strafhaft sitzenden Sohn testamentarisch enterbt. Alleinerbin ist die Tochter. Der Sohn erklärt nun schriftlich, dass er keinen Pflichtteil fordern wird. Seine Schwester ist damit einverstanden. Juristisch betrachtet hat man einen nach dem Tod der Erblasser formlos wirksamen Erlassvertrag geschlossen. Die Kinder verklagen nun ihren Vater darauf, dass dieser trotz des Erlassvertrags seinen Pflichtteil geltend macht. Hilfsweise wird eingeklagt, dass der Verzicht auf den Pflichtteil auf einer Schenkung des Sohnes an seine Schwester basieren soll und der einkommens- und vermögenslose Sohn dieses Geschenk aufgrund eigener finanzieller Bedürftigkeit zurückfordern können soll.

Dahinter steht die Taktik, dass der Anspruch dann gepfändet wird und die Kinder so zu dem ihnem zustehenden Unterhalt kommen.

Damit haben sich die minderjährigen Kinder vor dem Landgericht Kiel und dem Oberlandesgericht Schleswig zunächst durchgesetzt, den Rechtsstreit dann aber (im Ergebnis leider) vor dem Bundesgerichtshof verloren. Die Begründung ist, dass die unterhaltsrechtlichen Normen des BGB Ansprüche auf Zahlung in Geld an dien Kinder bzw. deren gesetzliche Vertreter, aber keinen Anspruch auf Geltendmachung eines Pflichtteilsanspruchs gegenüber Dritten begründe. Zwar müsse man den inhadftierten Kindesvater unterhaltsrechtlich so behandeln, als ob er den Pflichtteil geltend gemacht hätte. Er ist also zur Zahlung des monatlichen Unterhalts verpflichtet. Er kommt aber dieser Verpflichtung nicht nach und er verfügt über kein pfändbares Vermögen, da er den Pflichtteil nicht einfordert.

Das Urteil des Bundesgerichtshof ist juristisch korrekt begründet, das Ergebnis ist und bleibt aber trotzdem ungerecht. Möglicherweise erstattet nun der Vormund der Kinder (sofern noch nicht geschehen) eine Strafanzeige wegen <link http: dejure.org gesetze stgb external-link-new-window einen externen link in einem neuen>Unterhaltspflichtverletzung § 170 StGB. Es müssten dann die Strafgerichte prüfen, ob man die Nichtgeltendmachung des Pflichteils als ein sich Entziehen von der gesetzlichen Unterhaltspflicht ansehen kann. Der Strafttäter sitzt aber zu lebenslänglich verurteilt in Haft. Ob ihn eine weitere Haftstrafe zu einem Umdenken zwingt, ist fraglich. Die Justiz hätte die Möglichkeit, dass man ihn zusätzlich zu einer zur Bewährung ausgesetzten weiteren Haftstrafe verurteilt und als Bewährungsauflage festsetzt, dass Pflichtteilsansprüche geltend gemacht werden. Diese Vorgehensweise würd eich aber - obwohl ich kein spezialisierter Strafrechtsanwalt bin - als rechtlich sehr fragwürdig erachten.

Wenn man das wirklich schreckliche Geschehen beiseite läßt, so kann man erbrechtlich Folgendes lernen: Ein Pflichtteilsverzicht zu Lebzeiten des Erblassers ist nur wirksam, wenn ein Notar zur Beurkundung eingeschaltet ist (§ 2348 BGB).  Nach dem Ableben des Erblassers ist ein Erlass bzw. Verzicht auf den Pflichtteil auch formlos möglich. Wer also am Beerdigungstag in Gegenwart der Verwandtschaft auf Nachfrage eines Erben erklärt, dass er keinen Pflichtteil haben will, ist den Pflichtteis los, wenn der Erbe dies im persönlichen Gespräch dankend annimmt.