BVerfG: Erbrecht vor dem 01.07.1949 geborener nichtehelicher Kinder

Am 28.11.2011 hatte ich <link http: news-urteile detailansicht archive november article erbrecht-vor-dem-01071949-nichehelich-geborenen-kinder external-link-new-window einen externen link in einem neuen>an dieser Stelle über eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs berichtet, wonach vor dem 1. Juli 1949 geborene nichteheliche Kinder und ihre Abkömmlinge in bis zum 28. Mai 2009 eingetretenen Erbfällen weiterhin vom Erbrecht nach dem Vater und dessen Verwandten ausgeschlossen sind.

Der Kläger sah dies als Verletzung seiner verfassungsrechtlichen Rechte an und ging den Weg zum Bundesverfassungsgericht. In einer heute veröffentlichten Entscheidung sah das Verfassungsgericht dies anders und wies die Verfassungsbeschwerde zurück. Die dazu veröffentlichte Pressemitteilung können Sie nachfolgend nachlesen, Es bleibt zu hoffen, dass nun der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte angerufen (EGMR) wird, der kürzlich in einem Fall mit Frankreich-Bezug eine rechtlich nicht hinnehmbare Ungleichbehandlung bzw. Diskriminierung feststellte. Die Gesetzeslage in beiden Ländern ist aber unterschiedlich, so dass die Entscheidung des EGMR offen bleibt.

 

Bundesverfassungsgericht - Pressestelle - Pressemitteilung Nr. 26/2013 vom 17. April 2013

Beschluss vom 18. März 2013 1 BvR 2436/11 1 BvR 3155/11

Stichtagsregelung für die erbrechtliche Gleichstellung der vor dem 1. Juli 1949 geborenen Kinder
ist verfassungsgemäß


Die im Zweiten Erbrechtsgleichstellungsgesetz vom 12. April 2011  enthaltene Stichtagsregelung ist verfassungsgemäß. Dies hat die 2.  Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts in einem heute  veröffentlichten Beschluss entschieden. Der Gesetzgeber hat entschieden,  die vollständige erbrechtliche Gleichstellung der vor dem 1. Juli 1949  geborenen nichtehelichen Kinder auf Erbfälle ab dem 29. Mai 2009 zu  beschränken. Hiermit hat er seinen Spielraum bei der Gestaltung von  Stichtags- und anderen Übergangsvorschriften nicht überschritten.  Der Entscheidung liegen im Wesentlichen die folgenden Erwägungen  zugrunde:  1. Die Beschwerdeführer sind jeweils vor dem 1. Juli 1949 geborene  nichteheliche Kinder. Sie machen Rechte aus Erbfällen vor dem 29. Mai  2009 geltend.  2. Nach der ursprünglichen Fassung des Bürgerlichen Gesetzbuchs stand  nichtehelichen Kindern ein gesetzliches Erbrecht oder ein  Pflichtteilsrecht nur gegenüber ihrer Mutter und den mütterlichen  Verwandten zu. Ein Verwandtschaftsverhältnis zwischen nichtehelichen  Kindern und ihrem Vater bestand nicht. Die letztgenannte Regelung hat  der Gesetzgeber mit Wirkung zum 1. Juli 1970 aufgehoben (Gesetz über die  rechtliche Stellung nichtehelicher Kinder vom 19. August 1969 - NEhelG,  BGBl I S. 1243). Nach der Übergangsregelung des Art. 12 Nr. I § 10  NEhelG galt jedoch für die vor dem 1. Juli 1949 geborenen Kinder das  alte Recht fort. Das Bundesverfassungsgericht hatte diese  Übergangsregelung mehrfach zu überprüfen und hielt sie für noch  verfassungsgemäß. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sah  hierin jedoch eine Verletzung von Art. 14 in Verbindung mit Art. 8 der  Europäischen Menschenrechtskonvention (Urteil vom 28. Mai 2009 - 3545/04  -, Brauer/Deutschland).  Der Gesetzgeber nahm dieses Urteil zum Anlass, die vorgenannte  Übergangsregelung anzupassen (Zweites Erbrechtsgleichstellungsgesetz vom  12. April 2011 - ZwErbGleichG, BGBl I S. 615). Für Erbfälle vor dem 29.  Mai 2009, bei denen der Nachlass nicht an den Staat gefallen war, blieb  es jedoch beim Stichtag 1. Juli 1949.  3. Im Verfahren 1 BvR 2436/11 begehrt der 1943 geborene Beschwerdeführer  die Erteilung eines Alleinerbscheins. Er ist das einzige Kind des 2007  verstorbenen Erblassers, der die Vaterschaft im Jahr 1944 anerkannt hat.  Sein Antrag blieb im Ausgangsverfahren in allen Instanzen erfolglos.  Im Verfahren 1 BvR 3155/11 macht der 1940 geborene Beschwerdeführer  Pflichtteilsansprüche geltend. Der 2006 verstorbene Erblasser wurde  zunächst 1941 und sodann nochmals 1949 zur Zahlung von Kindesunterhalt  für den Beschwerdeführer verurteilt. Testamentarische Alleinerbin ist  die Tochter des Erblassers aus einer späteren Ehe. Die gegen sie  gerichtete Klage blieb im Ausgangsverfahren in allen Instanzen  erfolglos.  4. Die Verfassungsbeschwerden sind nicht zur Entscheidung anzunehmen,  weil die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen. Sie sind nicht  begründet, da die Übergangsregelung des Zweiten  Erbrechtsgleichstellungsgesetzes verfassungsgemäß ist und ihre Anwendung  durch die ordentlichen Gerichte in den vorliegenden Fällen von  Verfassungs wegen nicht zu beanstanden ist.  a) Der Prüfungsmaßstab ist in erster Linie aus Art. 6 Abs. 5 GG zu  entnehmen. Dieses Grundrecht enthält eine Wertentscheidung, die der  Gesetzgeber auch im Rahmen des allgemeinen Gleichheitssatzes zu beachten  hat. Diese Wertentscheidung kann auch dann verfehlt werden, wenn die  gesetzliche Regelung einzelne Gruppen nichtehelicher Kinder im  Verhältnis zu anderen Gruppen schlechter stellt. Eine tatbestandliche  Differenzierung innerhalb der Gruppe der nichtehelichen Kinder findet  sich in der Neuregelung nicht mehr. Zu prüfen bleibt indes, ob die  Abgrenzung des zeitlichen Anwendungsbereichs des alten und des neuen  Rechts mit dem allgemeinen Gleichheitssatz vereinbar ist.  b) Mit dem Zweiten Erbrechtsgleichstellungsgesetz wird primär nicht mehr  nach einem persönlichen Merkmal - dem Geburtsdatum -, sondern nach einem  zufälligen, von außen kommenden Ereignis - dem Datum des Erbfalls -  differenziert, so dass die Ungleichbehandlung nunmehr von geringerer  Intensität ist.  c) Die verfassungsrechtliche Prüfung von Stichtags- und anderen  Übergangsvorschriften muss sich auf die Frage beschränken, ob der  Gesetzgeber den ihm zukommenden Spielraum in sachgerechter Weise genutzt  hat, ob er die für die zeitliche Anknüpfung in Betracht kommenden  Faktoren hinreichend gewürdigt hat und die gefundene Lösung sich im  Hinblick auf den gegebenen Sachverhalt und das System der Gesamtregelung  durch sachliche Gründe rechtfertigen lässt oder als willkürlich  erscheint.  Im Übrigen entspricht es der Rechtsprechung des  Bundesverfassungs¬gerichts, dass der Gesetzgeber einen mit dem  Grundgesetz unvereinbaren Rechtszustand nicht rückwirkend beseitigen  muss, wenn die Verfassungsrechtslage bisher nicht hinreichend geklärt  war. Dies muss erst recht in einem Fall wie dem vorliegenden gelten, in  dem die Verfassungsmäßigkeit der bisherigen Rechtslage mehrfach durch  das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich bestätigt wurde.  d) Den hiernach eröffneten Spielraum hat der Gesetzgeber nicht  überschritten. Wie sich aus den Gesetzesmaterialien ergibt, hat er im  Laufe des Gesetzgebungsverfahrens die für und gegen die getroffene  Regelung sprechenden sachlichen Argumente sorgfältig abgewogen.  Insbesondere hat der Gesetzgeber grundsätzlich berücksichtigt, dass dem  Schutz des Vertrauens der Väter nichtehelicher Kinder und deren  erbberechtigter Familienangehörigen nach der Entscheidung des  Gerichtshofs vom 28. Mai 2009 nicht mehr der gleiche Stellenwert  zukommen konnte wie bisher angenommen. Allerdings müsse dann anderes  gelten, wenn der Erbfall bereits eingetreten und damit das Vermögen des  Erblassers bereits im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf die nach  geltendem Recht berufenen Erben übergegangen sei, da eine Entziehung  dieser Rechtsstellung eine echte Rückwirkung bedeutet hätte, die  verfassungsrechtlich nur in engen Ausnahmefällen möglich sei.  e) Der Gesetzgeber war auch nicht durch die Entscheidung des  Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 28. Mai 2009 gehalten,  eine weitergehende Rückwirkung vorzusehen. Der Gerichtshof hat bereits  im Jahr 1979 klargestellt, dass Handlungen oder Rechtslagen, die vor der  Verkündung eines Urteils lägen, nicht in Frage gestellt werden müssten;  dies folge aus dem Prinzip der Rechtssicherheit.  f) Die Auslegung und Anwendung der Übergangsregelung durch die  ordentlichen Gerichte in den vorliegenden Fällen ist von Verfassungs  wegen nicht zu beanstanden. Es ist nicht ersichtlich, dass die Gerichte  aus verfassungsrechtlicher Sicht gehalten gewesen wären, die Neuregelung  über ihren Wortlaut hinaus rückwirkend auf die Fälle der  Beschwerdeführer anzuwenden. Ob eine solche teleologische Erweiterung in  bestimmten Fällen, die in tatsächlicher Hinsicht dem durch den  Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte im Urteil vom 28. Mai 2009  entschiedenen vergleichbar waren, in Betracht kommt, kann offen bleiben.  Die Ausgangsverfahren bieten zur abschließenden Beantwortung dieser  Frage keinen Anlass.